Rabbi Schneersohns Rettung
Dem aus der Évian-Konferenz hervorgegangenen Zwischenstaatlichen Komitee für Flüchtlinge verdankt Rabbi Joseph Isaak Schneersohn, geistiges Oberhaupt einer bedeutenden Bewegung des jüdischen Chassidismus, sein Leben.
Bei den Verhandlungen zwischen dem Zwischenstaatlichen Komitee und der Reichsregierung im Sommer 1939 haben sich die Verhandlungsführer, der Amerikaner Robert T. Pell und der Deutsche Helmuth Wohlthat, gegenseitige Hilfe in wichtigen Fällen zugesagt. Diese erbittet Pell von Wohlthat für den seit Herbst 1939 im deutsch besetzten Warschau festsitzenden und von der Ermordung bedrohten Rabbi Schneersohn.
Wohlthat schaltet Admiral Wilhelm Canaris ein, den Chef des Nachrichtendienstes der Wehrmacht. Canaris hat sich nicht zuletzt wegen der NS-Judenpolitik zum Gegner des Regimes entwickelt und ist an Planungen zu dessen Sturz beteiligt. Er beauftragt Major Ernst Bloch, einen Offizier seines Amtes, Rabbi Schneersohn in dessen Warschauer Versteck ausfindig zu machen und in Sicherheit zu bringen.
Joseph Isaak Schneersohn, ca. 1940
Als Lubawitscher Rabbi ist Schneersohn seit 1920 geistiger Führer der chassidischen Chabad-Bewegung im westrussischen Ljubawitschi. Nach einer Inhaftierung durch den sowjetischen Geheimdienst geht er 1927 zunächst ins lettische Riga und verlegt das Zentrum seiner Bewegung schließlich in den Warschauer Vorort Otwock. Dort wird er im Herbst 1939 von der deutschen Besetzung der Stadt überrascht.
Chabad.org / Wikimedia Commons
Robert T. Pell an Raymond H. Geist, 3. Oktober 1939
Die Anhänger des Rabbi in den USA und zahlreiche prominente amerikanische Juden verlangen vom State Department die Rettung des Rabbi. Daraufhin lässt Robert T. Pell über Raymond H. Geist, den amerikanischen Generalkonsul in Berlin, seinen ehemaligen deutschen Verhandlungspartner Helmuth Wohlthat bitten, die Evakuierung des Rabbi nach Riga zu ermöglichen.
National Archives, College Park, MD
Ernst Bloch, um 1938
Der im Ersten Weltkrieg schwer verletzte Major Ernst Bloch ist selbst jüdischer Herkunft, aber trotz des in der Wehrmacht geltenden „Arierparagraphen“ von Canaris im Amt Ausland/Abwehr gehalten worden.
Dr. Maria Obenaus, Berlin
Wilhelm Canaris, um 1940
Canaris ist gerade von einem Besuch in Warschau voller Entsetzen über die von der deutschen Luftwaffe angerichteten Zerstörungen zurückgekehrt. Er beauftragt Bloch, Rabbi Schneersohn in Warschau ausfindig zu machen und in Sicherheit zu bringen.
Dr. Winfried Meyer, Berlin
Alexander C. Kirk an Robert T. Pell, 11. November 1939
Die US-Gesandtschaft in Berlin berichtet regelmäßig aus Berlin und Warschau nach Washington: Major Bloch stellt zunächst nur fest, dass das Haus, in dem sich Rabbi Schneersohn aufgehalten hat, bei der Bombardierung Warschaus Ende September 1939 zerstört worden ist.
National Archives, College Park, MD
Alexander C. Kirk an Robert T. Pell, 22. Dezember 1939
Erst nach einem Hinweis aus den USA auf Schneersohns neues Versteck kann Major Bloch ihn Mitte Dezember 1939 finden und zunächst nach Berlin und von dort nach Riga bringen.
National Archives, College Park, MD
US-Gesandtschaft Riga an das Department of State, 18. März 1940
In Riga werden dem Rabbi und seinen engsten Angehörigen US-Einreisevisa für religiöse Führer ausgestellt, mit denen sie sich am 7. März 1940 in Göteborg auf dem schwedischen Dampfer Drottningholm einschiffen. Als sie am 19. März in New York City eintreffen, wird Rabbi Schneersohn von Tausenden begeisterter Anhänger begrüßt. Sechs Tage später bedankt er sich bei Außenminister Cordell Hull und US-Präsident Roosevelt für seine Rettung.
National Archives, College Park, MD
Ankunft Rabbi Schneersohns in New York, 19. März 1940
Chabad Media Center, Brooklyn, NY
Joseph Isaac Schneersohn an Cordell Hull, 25. März 1940
National Archives, College Park, MD