Ausgrenzung, Entrechtung, Enteignung
Die rassenideologisch begründete Judenfeindschaft steht im Zentrum der Programmatik der 1920 gegründeten Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 wird ihr die Macht im Deutschen Reich übertragen.
Parallel zur Sicherung ihrer Macht durch Terror beginnen die neuen Machthaber, mit Aktionen ihrer Parteiorganisationen, gesetzlichen Regelungen und staatlichen Maßnahmen die ca. 500.000 in Deutschland lebenden Juden gesellschaftlich auszugrenzen, politisch zu entrechten und wirtschaftlich ihrer Existenzgrundlagen zu berauben. Ziel der NS-Politik ist die Vertreibung der Juden aus Deutschland. Das Leben dort soll ihnen so unerträglich gemacht werden, dass sie sich zur Auswanderung entschließen.
Im Juni 1938 verschärft das NS-Regime seine antijüdischen Maßnahmen: In Berlin werden Geschäfte beschmiert und geplündert. Mehr als 2.000 Juden werden in einer reichsweiten Aktion der Kriminalpolizei gegen „Asoziale“ festgenommen und in Konzentrationslager eingeliefert.
SA-Angehöriger neben einer Tafel mit der Aufschrift „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ am 1. April 1933 vor dem Berliner Kaufhaus Tietz
Am Morgen des 1. April 1933 beginnt der vom Zentral-Komitee zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze unter dem fränkischen NSDAP-Gauleiter Julius Streicher organisierte reichsweite Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte, Rechtsanwälte und Notariate. Polizei und Justiz gehen nicht gegen die Ausschreitungen vor.
The New York Times, Paris Office / National Archives, College Park, MD
Jüdische Anwälte warten vor der Berliner Anwaltskammer auf ihre Wiederzulassung, April 1933
Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 schafft die rechtliche Grundlage dafür, Juden aus dem Staatsdienst zu entlassen. Mit dem „Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ verlieren die meisten jüdischen Anwälte ihre Zulassung. Auf Intervention des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg können lediglich vor 1914 zugelassene „Alt-Anwälte“ und Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs ihre Wiederzulassung beantragen.
SZ Photo, München
Rückert-Schule Berlin-Schöneberg an Paula Dölle über den Ausschluss ihrer Tochter Grete Myriam vom Schulbesuch, Berlin 5. August 1933
Ab dem 23. April 1933 wird durch das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ der Anteil jüdischer Schüler und Studenten auf fünf Prozent begrenzt. Der bürokratische Ton des Briefes, den die Schulleitung an die Eltern der betroffenen Schüler verschickt, verschleiert die gravierenden Folgen für die Kinder und Jugendlichen.
Jüdisches Museum Berlin
Ein jüdischer Student, der ein Schild mit der Aufschrift „Ich habe ein Christenmädchen geschändet!“ tragen muss, wird von der SA durch Marburg getrieben, 24. August 1933
Bereits vor dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“ finden an vielen Orten Übergriffe gegen Juden wegen angeblicher „Rassenschande“ statt. Eine Vielzahl kleinerer Pogrome in der Provinz veranlasst viele Juden zum Umzug in die Großstädte, in deren Anonymität sie dieser Form der Verfolgung weniger ausgesetzt sind.
Archiv der Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Marburg
Häftlingsfoto Erich Mühsam, KZ Oranienburg, 3. Februar 1934
Menschen jüdischer Herkunft sind besonders gefährdet, wenn sie auch anderen Feindbildern des NS-Regimes entsprechen: Der Dichter und Anarchist Erich Mühsam wird am 9. Juli 1934 im KZ Oranienburg von SS-Leuten gefoltert und erhängt.
Bundesarchiv, Berlin, BildY 10-769-8113
Friedrich Weißler, undatiert
Menschen jüdischer Herkunft sind besonders gefährdet, wenn sie auch anderen Feindbildern des NS-Regimes entsprechen: Der ehemalige Landgerichtsdirektor Friedrich Weißler wird als Mitverfasser einer kritischen Denkschrift der Bekennenden Kirche am 13. Februar 1937 in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingewiesen und stirbt dort sechs Tage später nach brutalen Folterungen.
Privatbesitz
„Wieder ‚arische‘ Ostereier“
Noch vor ihrem grundsätzlichen Ausschluss durch gesetzliche Regelungen werden jüdische Gewerbetreibende, wie hier im Eierhandel, durch behördliche Schikanen und Boykottmaßnahmen der nichtjüdischen Konkurrenten zur Geschäftsaufgabe gezwungen.
Der Angriff, 10. April 1936
Erklärung der „Nürnberger Gesetze“ bei einer „Weltanschaulichen Schulung“ im Hitlerjugend-Lager Hohenelse in Brandenburg, 1937
Das auf dem NSDAP-Parteitag in Nürnberg 1935 verkündete „Reichsbürgergesetz“ definiert nach der Religionszugehörigkeit der Großeltern, wer als „Jude“ zu gelten hat, und erklärt „Juden“ zu Staatsbürgern minderen Ranges. Mit dem „Blutschutzgesetz“ werden sexuelle Beziehungen zwischen „Juden“ und „Nichtjuden“ unter Strafe gestellt, was zu zahlreichen Verurteilungen jüdischer Männer durch Sondergerichte führt.
SZ Photo, München
Mit antisemitischen Parolen beschmiertes Schaufenster des Berliner Möbelgeschäfts Thau, 19. Juni 1938
Mit der „Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 14. Juni 1938 werden erstmalig jüdische Gewerbebetriebe rechtlich definiert. Wenige Tage später findet in Berlin ein Pogrom statt, der heute als eine Art Generalprobe zu den Ereignissen im November 1938 gedeutet werden kann: In der gesamten Stadt werden jüdische Geschäfte beschmiert und teilweise auch geplündert.
Centrum Judaicum, Berlin