Norwegen
Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik
Als Land an der europäischen Peripherie spielt Norwegen eine untergeordnete Rolle für die Einwanderung aus anderen Staaten. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit nach der Weltwirtschaftskrise und einem von Skepsis und Ablehnung gegenüber Fremden geprägten gesellschaftlichen Diskurs sind sowohl die bürgerlichen als auch die sozialdemokratischen Regierungen äußerst zurückhaltend bei der Verteilung von Aufenthaltsgenehmigungen. Die Verabschiedung eines Zusatzgesetzes zum 1927 erlassenen norwegischen „Fremdengesetz“, das im Juni 1932 in Kraft tritt, wird mit dem Schutzbedürfnis der norwegischen Gesellschaft vor „ausländischem Müll“ und dem „Bodensatz des Emigrationsstroms“ begründet.
Das Königreich ist bestrebt, die Zahl der jüdischen Flüchtlinge ab 1933 so gering wie möglich zu halten. Mittels Arbeitsverboten und der Beschränkung staatlicher Unterstützung wird versucht, den Aufenthalt im Lande zu minimieren und die Flüchtlinge so zur Weiterreise zu drängen. Für viele bleibt Norwegen somit nur eine Transitstation. Auch eine Lockerung der Arbeitsbeschränkungen durch die ab 1935 regierende Arbeiterpartei führt nur zu einem unwesentlichen Anstieg der Einwanderung.
Als Reaktion auf den Beginn der Besatzung Norwegens durch die deutsche Wehrmacht im April 1940 flüchten 300 deutsche Juden über die Grenze weiter nach Schweden. Nur einen knappen Monat nach seiner Einsetzung als Ministerpräsident der Kollaborationsregierung lässt Vidkun Quisling am 12. März 1942 den „Judenparagraphen“ von 1814, der Juden das Betreten norwegischen Bodens verbietet, wieder in die Verfassung aufnehmen. Die Verschärfung des Verfolgungsdrucks und der Beginn von Massenverhaftungen und Deportationen von sich in Norwegen aufhaltenden Juden, die der Osloer Polizeichef Knut Rød maßgeblich organisiert, führt Ende 1942 zur erneuten Flucht von etwa 900 Menschen in das benachbarte Schweden.
Insgesamt nutzen zwischen 1933 und 1945 schätzungsweise 500 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich Norwegen vor allem als Transitstation.
Delegation
Michael Hansson
* 19.11.1875 Oslo † 5.12.1944 Lillehammer
Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Oslo arbeitet Michael Hansson als politischer Korrespondent für mehrere Zeitungen. Anschließend ist er als Rechtsanwalt, Richter und ab 1905 als Oberstaatsanwalt tätig. Im Folgejahr geht er als Richter nach Ägypten, wo er 25 Jahre lang an gemischt britisch-französisch-ägyptischen Gerichten in Al-Mansurah und Alexandria arbeitet. Nach seiner Rückkehr nach Norwegen im Sommer 1931 ist er überwiegend für den Ständigen Schiedshof in Den Haag tätig.
1936 übernimmt Hansson die Präsidentschaft des Verwaltungsrates des Nansen-Büros, das 1930 nach Entschluss des Völkerbunds eingerichtet worden ist. Er setzt dort die Arbeit des ersten Flüchtlingshochkommissars Fridtjof Nansen fort.
In Évian vertritt er sowohl das Nansen-Büro als auch Norwegen. Zudem engagiert er sich für spanische Bürgerkriegsflüchtlinge. Nach der deutschen Besetzung Norwegens im April 1940 zieht er sich von allen öffentlichen Aufgaben zurück. Er lässt sich in Lillehammer nieder und verfasst zwei Bücher mit Erinnerungen, die erst nach seinem Tod erscheinen.
Michael Hansson, ca. 1938
United Nations Archives, Genf
Michael Hansson nimmt für das Nansen-Büro den Friedensnobelpreis vom Vorsitzenden des Nobel-Komitees Fredrik Stang entgegen, Oslo, 10. Dezember 1938
Im September 1938 beschließt der Völkerbund die Auflösung des Nansen-Büros und des Amtes des „Hochkommissars für die Flüchtlinge aus Deutschland (jüdische und andere)“, deren Arbeit durch einen in London stationierten Hochkommissar für Flüchtlinge fortgesetzt werden soll. Kurz vor seiner Auflösung wird dem Nansen-Büro im November 1938 der Friedensnobelpreis verliehen.
picture alliance / TT NEWS AGENCY
„Flüchtlingsarbeit – die Position Norwegens“, Michael Hansson, Oslo 1936
Nasjonalbiblioteket, Oslo
Carl Nicolai Stoud Platou
* 25.7.1885 Bergen † 1.2.1956 Oslo
Carl Platou tritt nach einem Jurastudium 1911 in den Dienst des norwegischen Justiz- und Polizeiministeriums und wird 1926 zum Unterstaatssekretär ernannt. Außerdem gehört er für eine überparteiliche Liste dem Stadtrat von Aker an und amtiert 1930/31 als stellvertretender Bürgermeister.
Nach der deutschen Besetzung Norwegens verlangt Reichskommissar Josef Terboven erfolglos Platous Entfernung aus dem Ministerium. Stattdessen setzt der Justizminister der norwegischen Kollaborationsregierung einen ausgewiesenen Nationalsozialisten als zusätzlichen Unterstaatssekretär ein. Als der Minister aber im Oktober 1941 Platou beim Hören norwegischer Exilsender aus London überrascht, meldet er ihn den deutschen Behörden. Daraufhin wird dieser für über ein Jahr in verschiedenen Lagern inhaftiert.
Im Mai 1945 amtiert er sechs Tage lang als Justizminister eines aus dem Exil eingesetzten provisorischen Kabinetts. Später übernimmt er den Posten des Bezirksgouverneurs von Akershaus und Oslo, den er bis zu seiner Pensionierung 1955 innehat.
Carl Nicolai Stoud Platou, ca. 1935
Oslo-Museum, Oslo
Finn Moe
* 12.10.1902 Bergen † 6.8.1971 Oslo
Finn Moe arbeitet nach dem Studium in Frankreich ab 1927 als Journalist für das Arbeiderbladet, die Zeitung der sozialdemokratischen Arbeiderpartiet. Zunächst berichtet er als Auslandskorrespondent aus Berlin, ab 1929 gehört er der Auslandsredaktion in Oslo an. Daneben schreibt er Bücher über den Pragmatismus als demokratische Philosophie, die norwegische Arbeiterbewegung sowie den italienischen Abessinienkrieg. 1938 wird er in den Vorstand der Sozialistischen Arbeiter-Internationale gewählt und nimmt als Experte an der Flüchtlingskonferenz in Évian teil.
Während des Zweiten Weltkriegs ist Moe zunächst für norwegische Rundfunksendungen aus den USA und dann als Pressereferent des norwegischen Exil-Außenministeriums in London tätig. 1950 wird er in das norwegische Parlament gewählt, dem er bis 1969 angehört, von 1958 bis 1965 als Vorsitzender der Fraktion der Arbeiderpartiet. Als Parlamentarier vertritt er Norwegen in der Generalversammlung der UNO, dem Nordischen Rat, dem Europarat und der NATO.
Finn Moe, ca. 1935
Oslo-Museum, Oslo
Ansichtskarte von Évian, von Finn Moe als Souvenir von der Flüchtlingskonferenz mitgenommen
Arbeiderbevegelsens arkiv og bibliotek, Oslo
Ansichtskarte von Évian, von Finn Moe als Souvenir von der Flüchtlingskonferenz mitgenommen
Arbeiderbevegelsens arkiv og bibliotek, Oslo
Ansichtskarte von Évian, von Finn Moe als Souvenir von der Flüchtlingskonferenz mitgenommen
Arbeiderbevegelsens arkiv og bibliotek, Oslo
Ansichtskarte von Évian, von Finn Moe als Souvenir von der Flüchtlingskonferenz mitgenommen
Arbeiderbevegelsens arkiv og bibliotek, Oslo
Leif Ragnvald Konstad
* 19.10.1889 Oslo † 12.9.1977 Oslo
Leif Konstad schließt 1915 ein Jurastudium mit dem Staatsexamen ab. 1928 übernimmt er die Leitung der Passbehörde im norwegischen Justizministerium, die über die Aufnahme von Flüchtlingen entscheidet. Besonders bei sozialistischen Asylsuchenden verhält er sich restriktiv, so dass der Sowjet-Dissident Leo Trotzki und der österreichische Psychologe Wilhelm Reich Norwegen nach vorübergehendem Exil wieder verlassen müssen. Trotzki schreibt schon 1936, nur aus Höflichkeit bezeichne die Presse Konstad als „Semi-Faschisten“.
Immerhin hilft Konstad im Frühjahr 1940, die zentrale Flüchtlingskartei seiner Behörde zu verstecken, bevor sie der Gestapo in die Hände fällt. Vidkun Quisling, Ministerpräsident der Kollaborationsregierung, ernennt ihn 1942 zum Richter am Obersten Gerichtshof. Nach der Befreiung Norwegens wird Konstad deswegen im Mai 1946 zu acht Jahren Zwangsarbeit wegen Landesverrats verurteilt. Aber schon im April 1949 wird er vom Obersten Gerichtshof begnadigt und aus der Haft entlassen.
Leif Ragnvald Konstad an seinem Schreibtisch, undatiert
Nasjonalbiblioteket, Oslo
Zusammenfassung der Stellungnahme
Der Delegierte Norwegens Michael Hansson gibt zu bedenken, dass ein in Évian zu gründendes Komitee nicht die Wichtigkeit des Völkerbundes schmälern oder diesen aus seiner Verpflichtung in Bezug auf Flüchtlinge entlassen dürfe. Gleichwohl zeigt er sich optimistisch, dass unter der Regie der USA eine Kontaktaufnahme mit dem Deutschen Reich und konkrete Lösungsvorschläge für das Flüchtlingsproblem gelingen könnten. Norwegen selbst sei gastfreundlich, aber, so heißt es in einem internen Papier, kein Einwanderungsland, sondern lange Auswanderungsland gewesen. Als höchste Immigrationshürde wird der angesichts hoher Arbeitslosigkeit für Einwanderer beschränkte Zugang zum norwegischen Arbeitsmarkt genannt. Für die wenigen bisherigen Flüchtlinge habe es Ausnahmen gegeben, auch bekämen Staatenlose in Norwegen einen Nansen-Pass als Ausweis- und Reisedokument. Über Zahl und Art weiterer Flüchtlingsaufnahmen könne aber mangels Erfahrung keine Angabe gemacht werden.
Konferenzbeiträge
Stellungnahme von Michael Hansson (Norwegen) in der öffentlichen Sitzung am 6. Juli 1938, 16 Uhr, S. 1/2
Franklin D. Roosevelt Library, Hyde Park, NY
Stellungnahme von Michael Hansson (Norwegen) in der öffentlichen Sitzung am 6.7.1938, 16 Uhr, S. 2/2
Franklin D. Roosevelt Library, Hyde Park, NY
Erklärung der norwegischen Delegation für das Technische Unterkomitee über die Einwanderungsgesetze und ihre Anwendung in Norwegen, 8. Juli 1938, S. 1/3
Franklin D. Roosevelt Library, Hyde Park, NY
Erklärung der norwegischen Delegation für das Technische Unterkomitee über die Einwanderungsgesetze und ihre Anwendung in Norwegen, 8. Juli 1938, S. 2/3
Franklin D. Roosevelt Library, Hyde Park, NY
Erklärung der norwegischen Delegation für das Technische Unterkomitee über die Einwanderungsgesetze und ihre Anwendung in Norwegen, 8. Juli 1938, S. 3/3
Franklin D. Roosevelt Library, Hyde Park, NY
Erklärung der norwegischen Delegation für das Technische Unterkomitee betreffend Ausweisdokumente für Flüchtlinge, 8. Juli 1938
Franklin D. Roosevelt Library, Hyde Park, NY