Aus dem Schweizer Exil ins deutsche KZ
Nach der Konferenz von Évian schotten sich viele Staaten noch stärker gegen jüdische Flüchtlinge ab. Auch auf Druck der Schweiz führen die deutschen Behörden im Herbst 1938 die Kennzeichnung jüdischer Reisepässe mit einem roten „J“ ein, so dass Juden an der Grenze fortan leichter abgewiesen werden können. In Einzelfällen werden sogar jüdische Flüchtlinge nach längerem Exil in der Schweiz nach Deutschland abgeschoben, wo sie sofort in ein Konzentrationslager eingewiesen werden.
Der Wiener Hans Weinberg ist schon im Sommer 1938 in die Schweiz geflohen. Am 25. Oktober 1939 wird er von der kantonalen Polizei in Basel festgenommen und nach Deutschland abgeschoben. Mit viel Glück überlebt er eine fast einjährige Haft im Konzentrationslager Sachsenhausen und eine abenteuerliche Flucht durch Jugoslawien und Italien. 1944 geht er nach Palästina, wo er seinen Namen in Eli Carmel umändert. Erst 1997 entschuldigt sich der Kanton Basel bei ihm und zahlt ihm schließlich eine symbolische Entschädigung für die erlittene Haft.
Technische Hochschule Wien: Meldebuch für Hans Weinberg, 1935–1938
Hans Weinberg ist der Sohn wohlhabender jüdischer Kaufleute in Wien. Auf Wunsch seiner Eltern bricht er im Juli 1938 ein Studium der Elektrotechnik an der Technischen Hochschule Wien kurz vor dem Abschluss ab. Er reist mit einem Touristenvisum in die Schweiz, wo Verwandte der Weinbergs leben. Nach einem Aufenthalt in Zürich weisen die Behörden ihm den Kanton Genf als ständigen Aufenthaltsort zu.
Yad Vashem Archives, Jerusalem
Aufenthaltsverbot für Hans Weinberg, Eidgenössiche Fremdenpolizei, 20. Juli 1939
Wegen angeblicher Verstöße gegen Aufenthaltsbestimmungen erlässt die Eidgenössische Fremdenpolizei im Sommer 1939 gegen Hans Weinberg einen Festnahmebefehl und ein Aufenthaltsverbot für die Schweiz.
Archives d‘État de Genève
Journal der Polizei Basel-Stadt, 25. Oktober 1939
Am 25. Oktober 1939 wird Hans Weinberg bei einem Besuch in Basel von der dortigen Polizei festgenommen. Obwohl die Eidgenössische Fremdenpolizei in Bern auf eine Abschiebung verzichtet hat, schiebt ihn die Kantonspolizei von Basel-Stadt noch am selben Tag über die deutsche Grenze nach Lörrach ab.
Staatsarchiv Basel-Stadt, Straf und Polizei M 8.109, S. 910
Gefangenenbuch des Gerichtsgefängnisses Lörrach, Oktober 1939
Nach dreiwöchiger Haft im Gerichtsgefängnis Lörrach weist die Gestapo Hans Weinberg in das KZ Sachsenhausen ein.
Landesarchiv Baden-Württemberg / Staatsarchiv Freiburg, G 723/1, Nr. 10
Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen bei Gussarbeiten im Außenlager Klinkerwerk
Im KZ Sachsenhausen wird Hans Weinberg als Jude dem härtesten Arbeitskommando im Klinkerwerk zugeteilt: „An einem Wintertag schlug mich bei der Arbeit ein SS-Mann bewusstlos. Er hielt mich für tot und ließ mich im Schnee liegen. Am Ende des Arbeitstages verstauten Häftlinge auf einem Schubkarren alle Leichen – und mich. Sie sollten im Lager verbrannt werden. Unterwegs wachte ich auf, und die Kameraden halfen mir in die Baracke.“
Aquarell: Etienne van Ploeg, 1945 / Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Oranienburg
Jewish Agency Zagreb an Jewish Agency Genf, 1. Januar 1941
Durch Vorlage eines Shanghai-Visums erreicht Maria Weinberg die Entlassung ihres Sohnes aus dem KZ Sachsenhausen. Da aber das Shanghai-Visum inzwischen abgelaufen ist, flieht die Familie Ende 1940 mit Hilfe eines Schleppers nach Jugoslawien, um von dort nach Palästina zu gelangen. Im zerfallenden Jugoslawien wird die Familie immer wieder inhaftiert und landet schließlich in einem Gefängnis im damals italienischen Fiume (Rijeka). Von dort werden sie 1942 in das kalabrische Internierungslager Ferramonti verlegt.
Central Zionist Archives, Jerusalem
Aufenthaltsgenehmigung für Hans Weinberg, Government of Palestine/Department of Migration, 5. Juni 1944
Im September 1943 wird die Familie Weinberg von alliierten Truppen aus dem Lager Ferramonti endgültig befreit und geht nach Palästina. Nach der Gründung Israels nimmt Hans Weinberg den Namen Eli Carmel an.
Nachlass Eli Carmel, Pardes Chana
Eli Carmel [Hans Weinberg] (re.) mit Ehefrau Chana in der Gedenkstätte Sachsenhausen, September 1997
1992 gründet Eli Carmel die Vereinigung ehemaliger Sachsenhausen-Häftlinge in Israel. Als deren Präsident gehört er im September 1997 zur Delegation des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak, als dieser bei seinem Staatsbesuch in Deutschland die Gedenkstätte Sachsenhausen besucht.
Nachlass Eli Carmel, Pardes Chana
Aus dem Schweizer Exil ins deutsche KZ
Ausschnitte aus Interview mit Eli Carmel [Hans Weinberg], 30. November 1993 Israel
© United States Holocaust Memorial Museum, RG-50.120*0030)